Im Gespräch mit dem in Barcelona lebenden deutsch-mexikanischen Architektenpaar Holger Augst und Arais Reyes, Gründer von Estudio H+A

 Einer der Aspekte, den ich am meisten schätze, ist die Möglichkeit, Menschen zu helfen, sich besser zu fühlen - oft schon mit nur ganz wenigen Mitteln.

Arais Reyes

© Michael Wesely



Im Gespräch mit dem in Barcelona lebenden deutsch-mexikanischen Architektenpaar Holger Augst und Arais Reyes, Gründer von Estudio H+A



Ihr kommt aus sehr unterschiedlichen Kulturen. Was hat euch nach Barcelona verschlagen?

A: Das Interesse an neuen Erfahrungen hat mich nach Europa gebracht.
Mexiko ist eine beeindruckende Stadt. Sie ist wunderbar, aber das Leben dort kann auch recht schwer sein. Die letzten Jahre, bevor ich herkam, habe ich sehr viel Zeit mit Pendeln verbracht. Vom Osten der Stadt, wo ich wohnte, zur Universität im Süden, wo ich unterrichtete, zum westlichen Teil, wo ich in einem Architekturbüro arbeitete. Vier Jahre ging das so, bis mir schließlich klar wurde, dass ich eine Veränderung brauchte.
Ich fing an, über einen Aufbaustudiengang in Europa nachzudenken. Anfangs dachte ich dabei an Frankreich, ich habe die Sprache studiert und mich von dieser Kultur angezogen gefühlt, aber nach einer Reise habe ich diese Idee aufgegeben. Kurz darauf wurde ich zu einem Kongress in Salamanca eingeladen und nutzte die Gelegenheit, andere spanische Städte kennenzulernen. Ich war begeistert von San Sebastian und Barcelona, ​​entschied mich schließlich 2006 hierher zu kommen, um einen Master in Theorie und Praxis der Architekturgestaltung zu studieren. Ein Jahr später bekam ich ein Stipendium, um zu promovieren.

H: In meinem Fall war es der Wunsch nach Veränderung, eine Art Abenteuerlust. Nach dem Studium hatte ich eine recht spannende Zeit im Büro von O.M.Ungers in Berlin. Wir waren dort ein sehr internationales Team. Ich denke, in dieser Zeit wuchs in mir der Wunsch, andere Teile der Welt kennenzulernen. Im Jahr 2002 bin ich dann zu Freunden nach San Sebastian gezogen. Erst einmal um mir ein Bild zu machen (und die Sprache zu lernen). Im folgenden Jahr habe ich dann ein Angebot von einem Büro in Barcelona bekommen. Ja und das war’s dann. Seitdem lebe ich in dieser wunderbaren Stadt und habe nicht vor, sie bald wieder zu verlassen.

Ihr seid nicht nur im Büro Partner. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, gemeinsam ein Büro zu gründen?

H: Das hat sich praktisch so ergeben. Als wir uns kennenlernten, war ich einer von drei Partnern bei KAWarquitectura, einem spanisch-niederländischen Büro. Aufgrund der Krise im Bausektor haben sich die niederländischen Partner 2012 aus dem Projekt zurückgezogen und damit das Ende besiegelt. Arais hatte zu der Zeit ihre Doktorarbeit beinahe beendet, und es war nicht klar, was danach kommen sollte. Ja, und da war es naheliegend, etwas Gemeinsames aufzubauen.

A: Als wir uns kennenlernten, hatte Holger sein Büro, und ich war vollends in die akademische Arbeit vertieft. Jeder in seiner Welt. Wir stellten aber schon damals fest, dass wir viele Kriterien der Architektur teilten. Als KAWarquitectura aufgelöst wurde, war auch ich gerade auf der Suche nach einer neuen Betätigung, außerhalb der akademischen Welt. Da war es ein logischer Schritt, etwas Eigenes, Gemeinsames aufzubauen.

Das war damals eine schwierige Zeit für Architekten. Viele Büros mussten schließen. Wie habt ihr es geschafft, die Krise zu überwinden?

H: Ein wichtiger Punkt war sicherlich die Erfahrung der Zeit mit KAW. Darauf konnten wir aufbauen. Mit dem Neustart haben wir allerdings unsere Struktur verändert. Statt auf ein Büro mit festen Mitarbeitern, setzten wir auf flexible Zusammenarbeit, und das hat sich bis heute bewährt. Je nach Projekt arbeiten wir mit verschiedenen Spezialisten zusammen. So finden wir für jedes Projekt das richtige Team. Wir verfügen inzwischen über ein recht ansehnliches Netzwerk verschiedener Spezialisten und Bauunternehmen, das es uns ermöglicht, uns an die Erfordernisse eines jeden Projekts anzupassen.

Wir verfügen inzwischen über ein recht ansehnliches Netzwerk verschiedener Spezialisten und Bauunternehmen, das es uns ermöglicht, uns an die Erfordernisse eines jeden Projekts anzupassen.

Holger Augst, Gründer Estudio H+A

Wir verfügen inzwischen über ein recht ansehnliches Netzwerk verschiedener Spezialisten und Bauunternehmen, das es uns ermöglicht, uns an die Erfordernisse eines jeden Projekts anzupassen.

Holger Augst, Gründer Estudio H+A

A: Ja, man kann sagen, wir haben ein Netzwerk aufgebaut. Wir waren offen (und sind es noch immer), andere Menschen kennenzulernen. Daraus sind Kooperationen und Freundschaften entstanden, die transzendental waren. Insofern ist es nicht ganz richtig, dass wir nur zu zweit sind, da an vielen Projekten auch Kollegen beteiligt waren, ohne die wir diese nicht hätten realisieren können.

Warum seid ihr Architekten geworden?

A: Ich muss gestehen, als die Entscheidung für eine universitäre Laufbahn anstand, war ich zwischen einem Physik- und einem Architekturstudium hin- und hergerissen. Die Gründe für die letztendliche Entscheidung waren eher Intuitionen und eine gewisse Erfahrung, die ich zuvor als technische Zeichnerin machen konnte. Später, während der Ausübung des Berufes ist mir klar geworden, was mir am meisten daran gefällt. Es ist die Möglichkeit, das Umfeld der Menschen zu verbessern, es zu schaffen, dass sie sich wohler fühlen, sei es zu Hause oder im Beruf.

H: Ich bin über viele Umwege zur Architektur gekommen. Als DDR-Kind habe ich erst einmal eine Berufsausbildung in Elektronik bzw Nachrichtentechnik gemacht. Nach dem Mauerfall bekam ich die Gelegenheit, etwas Neues zu beginnen. Architekt war nie ein Traumberuf von mir. Ich habe mich da eher von einem Freund beeinflussen lassen. Während des Studiums an der FH Potsdam hat sich meine Vorstellung vom Beruf völlig geändert. Mir ist klar geworden, dass ich gefunden hatte, wonach ich suchte. Und diese Begeisterung hält sich seitdem. Ich denke, dass es das ist, was uns verbindet und zu einem guten Team macht.

Was ist euer Stil?

H: Die Frage nach dem Stil stellt sich bei mir eigentlich nicht. Es geht immer um Räume. Da wir fast ausnahmslos im Bereich Um- und Ausbau tätig sind, sind die Räume in der Regel vorgegeben. Es geht darum, sie zu interpretieren. Dabei gibt es immer einen Spielraum. Man kann z.B. mit Kontrasten arbeiten oder sich unterordnen.
Beim Thema Materialwahl und Farbgebung sind wir vorurteilsfrei. Oft entstehen die Ideen und Konzepte aus den Gesprächen mit den Klienten.

A: Ich schließe mich dem an, wir sind uns in diesen Fragen einig.

Wie steht ihr zum Thema Nachhaltigkeit. Macht ihr «grüne» Architektur?

H: Nachhaltigkeit ist ohne Zweifel eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Immerhin gehen 30 % der CO2-Emissionen weltweit auf die Bauwirtschaft zurück (40 % Ressourcenverbrauch). Dem entgegenzuwirken, sollte das Anliegen eines jeden Bauherrn und Planers sein. Doch Nachhaltigkeit muss mehr sein als ein Werbeversprechen.

Das musst du erklären.

Ich frage mich z.B., ob eine 80 m2 große Wohnung in ‚konventioneller‘ Bauweise für eine dreiköpfige Familie weniger nachhaltig ist als die energiesparende mediterrane Villa, ausgestattet mit modernster Technik, die aber nur zwei Monate im Jahr genutzt wird. Wirklich nachhaltig wäre, nur das Nötigste zu bauen.

Verstehe ich das richtig: ein Architekt, der empfiehlt, weniger zu bauen?

H (lacht): Ja, das kann man so sagen. Je mehr Fläche verbaut wird, desto mehr Ressourcen und Energie werden verbraucht. Natürlich spielen die Materialauswahl und der geringe Energieverbrauch eine wichtige Rolle. Aber man muss das richtige Verhältnis finden zwischen dem, was notwendig ist, der Größe der Räume und der Investition in die Technik.

A (lacht): In diesem Sinne: Wir recyclen Raum!

Was unterscheidet euch von anderen Architekten, was ist eure Arbeitsweise?

A: Wenn ich eine Gemeinsamkeit von uns beiden nennen sollte, dann, dass wir beide engagierte Menschen sind. Besonders wenn es um unsere beruflichen Verpflichtungen geht. Neben dieser Eigenschaft, welche sicherlich viele Architekten mit uns teilen, legen wir besonderes Augenmerk auf die Beziehung zu den Bauherren. Diese Beziehung muss auf gegenseitigem Vertrauen basieren. Es ist, als ob man zu einem Arzt geht, man muss sich bei ihm sicher fühlen, damit es funktioniert. Auch Jahre nach Fertigstellung der gemeinsamen Projekte, pflegen wir zu den meisten unserer Kunden ein gutes Verhältnis.

 Besonderes Augenmerk legen wir auf die Beziehung zu den Bauherren. Diese Beziehung muss auf gegenseitigem Vertrauen basieren.

Arais Reyes, Gründerin Estudio H+A

Besonderes Augenmerk legen wir auf die Beziehung zu den Bauherren. Diese Beziehung muss auf gegenseitigem Vertrauen basieren.

Arais Reyes, Gründerin Estudio H+A

H: Ein ganz konkreter Punkt im Unterschied zu anderen Architekten ist vielleicht das Arbeiten mit 3D-Modellen. Seit dem Studium arbeite ich mit ArchiCAD. Im Unterschied zu anderen CAD-Programmen wird hier nicht einfach ein Plan gezeichnet, sondern ein 3D-Modell erstellt. Aus diesem werden dann die Pläne generiert. Damit sind wir in der Lage unseren Klienten von Beginn an ein 3D-Modell zu zeigen was die Kommunikation erheblich erleichtert. Nicht für alle ist es selbstverständlich, Pläne zu lesen. Eine Perspektive dagegen versteht jeder.

Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei euch aus?

H: Den gibt es eigentlich nicht. Und ich glaube, es ist genau das, was mich an dem Beruf so reizt. Baustellenbesuche und Bauherrengespräche wechseln sich mit Projektplanung ab. Und dazwischen wird noch schnell ein Detail für die Treppe entworfen. Oft werden zwei bis drei Projekte an einem Tag bearbeitet. Langweilig ist es nie.

A: Einen langen Arbeitsweg haben wir nicht (lacht). Seit beinahe zwei Jahren haben wir unser Büro in einem Teil unserer Wohnung eingerichtet. Hier arbeiten wir entweder konzentriert, jeder für sich, oder wir stimmen uns ab oder besprechen die gemeinsamen Projekte. Ich denke, darin unterscheiden wir uns nicht von anderen Büros.

Ihr habt beide Erfahrungen aus euren Heimatländern. Eine letzte Frage: Baut man hier anders?

A: Ich würde sagen, dass in Spanien im Vergleich zu Deutschland mehr auf traditionelle Mittel, auf Handwerksarbeit gesetzt wird. Das ist in Mexiko sogar noch häufiger zu sehen. Vielleicht kommt daher meine Vorliebe. Hier in Spanien, und speziell in Katalonien, gibt es Handwerker, deren Arbeit wir sehr schätzen. Da es bei unseren Projekten fast immer um Renovierung oder Sanierung geht, gibt es nicht selten Elemente oder Details, die eben dieses spezielle Wissen erfordern.

H: Im Vergleich zu Deutschland: definitiv. Während dort versucht wird, alle Details vorab zu planen, wird hier sehr viel auf der Baustelle improvisiert. Das hat mehrere Gründe. Unter anderem wird hier für den Planungsaufwand deutlich weniger bezahlt. Auch sind viele kleinere Baufirmen gar nicht bereit, Detailpläne zu lesen. Wir versuchen, einen Mittelweg zu gehen. Wichtige Details werden von uns geplant und vor Baubeginn mit der ausführenden Firma abgesprochen. Aber wir improvisieren auch. Das geht oft nicht anders, da wir fast ausschließlich mit bestehenden Bauten zu tun haben. Vor Baubeginn weiß man da nicht immer, was man vorfindet.